Gastronomie-Versicherer muss nicht Risiko einer Schutzgelderpressung tragen

Der Bundesgerichtshof hat heute entschieden, dass ein Gastronomie-Versicherer nicht für Vandalismusschäden im versicherten Lokal aufkommen muss, nachdem dem Gastwirt die Zerstörung seines Lokals zuvor von einem so genannten Schutzgelderpresser mehrfach angedroht und dies dem Versicherer nicht als Gefahrerhöhung angezeigt worden war.

Der Kläger, früher Inhaber einer Gaststätte, forderte Versicherungsleistungen aus einer seit September 2005 bei der Beklagten gehaltenen Gastronomie-Versicherung, welche Versicherungsschutz auch für Sachschäden durch Einbruchdiebstahl, Vandalismus und Beraubung gewährt.

Beginnend im Spätsommer 2006 war dem Kläger in mehreren anonymen Anrufen „Schutz und Versicherung“ angeboten worden, „weil immer etwas passieren könne“. Später hatte der Anrufer für den angebotenen „Schutz“ monatliche Zahlungen von 750 € verlangt und den Kläger aufgefordert, sich weder an die Polizei noch an andere Personen zu wenden.

Am 9. März 2007 waren erstmals Unbekannte in das Lokal eingebrochen und hatten Bargeld und technische Geräte entwendet. Bei der Schadensregulierung durch die Beklagte hatte der Kläger die vorangegangenen Erpressungsversuche verschwiegen. Unter ausdrücklichem Hinweis auf den Einbruch, ferner begleitet von weiteren Drohungen gegen den Kläger und seine Familie hatte der unbekannte Anrufer kurz darauf sein Zahlungsverlangen mehrfach vergeblich wiederholt. Am 21. April 2007 war das Auto des Klägers erheblich beschädigt, schließlich in der Nacht vom 3. auf den 4. Juni 2007 erneut die Gaststätte von Einbrechern heimgesucht worden. Sie hatten diesmal – vermutlich mit einer Axt – wesentliche Teile der Inneneinrichtung zerstört und eine große Menge schwarzer Lackfarbe im Lokal versprüht. Nach der Behauptung des Klägers waren außerdem Bargeld und eine Musikanlage entwendet worden. Der Kläger bezifferte diesen Schaden auf insgesamt knapp 150.000 €.

Nachdem er bei der neuen Schadensmeldung Mitarbeitern des Versicherers erstmals auch die vorangegangenen Erpressungsversuche geschildert hatte, hatte der Versicherer den Versicherungsvertrag gekündigt und außerdem die beantragte Versicherungsleistung abgelehnt, weil ihm die für das versicherte Lokal eingetretene Gefahrerhöhung nicht rechtzeitig angezeigt worden war.

Die Vorinstanzen hatten die Klage auf Versicherungsleistungen abgewiesen. Die dagegen gerichtete Revision hatte keinen Erfolg. Der Kläger hat geltend gemacht: Wenn ein Sachversicherer Schutz gegen vorsätzliche Vandalismusschäden verspreche, stelle es keine anzeigepflichtige Gefahrerhöhung für die versicherte Sache dar, dass ein Täter einen solchen Schädigungsvorsatz konkret fasse und diesen – wie im Fall der Schutzgelderpressung – auch kundgebe. Im Übrigen werde er als Versicherungsnehmer unangemessen benachteiligt, wenn er im Falle einer Schutzgelderpressung von der Versichertengemeinschaft allein gelassen und mithin der kriminellen Drohung schutzlos ausgeliefert werde.

Dem ist der für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs mit den nachfolgenden Erwägungen entgegengetreten:

Durch die Bestimmungen der §§ 23 ff. VVG a. F. über die Gefahrerhöhung soll das bei Abschluss des Versicherungsvertrages zugrunde gelegte Gleichgewicht zwischen Prämienaufkommen und Versicherungsleistung erhalten bleiben. Die Annahme einer die Risikolage maßgeblich verändernden Gefahrerhöhung setzt voraus, dass der neue Zustand erhöhter Gefahr mindestens von einer solchen Dauer sein muss, dass er die Grundlage eines neuen natürlichen Gefahrenverlaufs bilden kann und so den Eintritt des Versicherungsfalls zu fördern geeignet ist. Der erst nach Abschluss des Versicherungsvertrages mittels anonymer Anrufe kundgegebene, über mehrere Monate verfolgte Entschluss unbekannter Täter, den Kläger mittels Androhung (unter anderem) von Einbruchsdiebstählen und schwerwiegenden Sachbeschädigungen zu Schutzgeldzahlungen zu nötigen und diesem Verlangen auch durch wiederholte Anschläge auf die versicherte Gaststätte Nachdruck zu verleihen, hatte hier die Gefahr des Eintritts von Einbruchs- und Vandalismusschäden dauerhaft erhöht.

Der Kläger musste diese Gefahrerhöhung gemäß § 27 Abs. 2 VVG a. F.* der Beklagten auch anzeigen. Eine mitversicherte und damit im Sinne des § 29 VVG a. F. unerhebliche, nicht anzeigepflichtige Gefahrerhöhung lag hier nicht vor. Die eingetretene objektive Gefahrerhöhung wäre dem Versicherer vielmehr anzuzeigen gewesen, nachdem das Lokal nach vorangegangenen Drohungen erstmals am 9. März 2007 von Einbrechern heimgesucht worden war und der anonyme Anrufer zwei Tage später unter ausdrücklicher Bezugnahme auf diesen ersten Vorfall seine Drohungen fortgesetzt hatte. Denn spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger sichere Kenntnis davon, dass eine ernsthafte Bedrohung für die versicherte Sache vorlag, die auf eine wiederholte, sich von Mal zu Mal steigernde Schädigung des Lokals zielte und jedenfalls deshalb eine erhebliche, nicht mehr „mitversicherte“ Gefahrerhöhung im Sinne des § 29 VVG a. F.** darstellte.

Für eine anderslautende – von der Revision geforderte – wertende Betrachtung, derzufolge der Versicherer die Gefahrerhöhung aus kriminalpolitischen Gründen hinzunehmen hätte, geben die §§ 23 ff. VVG a. F. nach Auffassung des Bundesgerichtshofs keinen Raum. Sie ist auch nicht aus Treu und Glauben geboten. Ob eine ungewollte Gefahrerhöhung im Sinne von § 27 Abs. 1 VVG a. F. vorliegt, bestimmt sich allein anhand objektiver Umstände. Entsprechendes gilt für die Frage der Erheblichkeit der Gefahrerhöhung und ihrer Anzeigepflicht. Dass die Erhöhung der Gefahr hier die Folge kriminellen Verhaltens Dritter war und dem Versicherungsnehmer als Tatopfer eines Erpressungsversuchs wenig Handlungsspielraum verblieb, der Gefahrerhöhung Erfolg versprechend zu begegnen, muss sich der Versicherer, der seinerseits keine Verantwortung für die veränderte Sachlage trägt, nicht entgegenhalten lassen.

Die Entscheidung war nach dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG) in dessen früherer, bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung (a. F.) zu treffen.

*§ 27 VVG a. F.: [Ungewollte Gefahrerhöhung]

(1) Tritt nach dem Abschluß des Vertrags eine Erhöhung der Gefahr unabhängig von dem Willen des Versicherungsnehmers ein, so ist der Versicherer berechtigt, das Versicherungsverhältnis unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von einem Monat zu kündigen. Die Vorschriften des § 24 Abs. 2 finden Anwendung.

(2) Der Versicherungsnehmer hat, sobald er von der Erhöhung der Gefahr Kenntnis erlangt, dem Versicherer unverzüglich Anzeige zu machen.

§ 28 VVG a. F.: [Leistungsfreiheit]

(1) Wird die in § 27 Abs. 2 vorgesehene Anzeige nicht unverzüglich gemacht, so ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsfall später als einen Monat nach dem Zeitpunkt eintritt, in welchem die Anzeige dem Versicherer hätte zugehen müssen.

(2) Die Verpflichtung des Versicherers bleibt bestehen, wenn ihm die Erhöhung der Gefahr in dem Zeitpunkt bekannt war, in welchem ihm die Anzeige hätte zugehen müssen. Das gleiche gilt, wenn zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalls die Frist für die Kündigung des Versicherers abgelaufen und eine Kündigung nicht erfolgt ist oder wenn die Erhöhung der Gefahr keinen Einfluß auf den Eintritt des Versicherungsfalls und auf den Umfang der Leistung des Versicherers gehabt hat.

**§ 29 VVG a. F.: [Unerhebliche Gefahrerhöhung]

Eine unerhebliche Erhöhung der Gefahr kommt nicht in Betracht. Eine Gefahrerhöhung kommt auch dann nicht in Betracht, wenn nach den Umständen als vereinbart anzusehen ist, daß das Versicherungsverhältnis durch die Gefahrerhöhung nicht berührt werden soll.

Urteil vom 16. Juni 2010 – IV ZR 229/09

LG Hamburg – Urteil vom 20. Oktober 2008 – 415 O 48/08

Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg – Urteil vom 3. März 2009 – 9 U 219/08

Karlsruhe, den 16. Juni 2010

Pressestelle des Bundesgerichtshofs 

Bundesgerichtshof entscheidet im Streit zwischen der weltweit tätigen Hard Rock-Gruppe und dem „Hard Rock Cafe Heidelberg“

Das „Hard Rock Cafe Heidelberg“ kann unter dieser Bezeichnung weiter betrieben werden, es dürfen dort aber keine mit dem international bekannten „Hard-Rock-Cafe-Logo“ gekennzeichneten Artikel mehr verkauft werden. Das hat der u.a. für das Wettbewerbs- und Markenrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs heute entschieden.

Die Klägerin zu 1, die zur weltweit tätigen Hard-Rock-Gruppe gehört, betreibt Hard-Rock-Cafés in Berlin, München und Köln. Die Klägerin zu 2 ist Inhaberin zahlreicher Wort- und Wort-/Bildmarken „Hard Rock Cafe“. Die Beklagte zu 1, deren Geschäftsführer der Beklagte zu 3 ist, betreibt ein Restaurant unter der Bezeichnung „Hard Rock Cafe Heidelberg“. Bei der Einrichtung und Ausstattung des Restaurants hatten sich seine Gründer bewusst an dem 1971 in London eröffneten „Hard Rock Cafe“ orientiert. Jedenfalls seit 1978 verwendet die Beklagte zu 1 das typische kreisrunde Hard-Rock-Logo der Klägerin zu 2 in Speise- und Getränkekarten sowie auf Gläsern. Sie benutzt die Wortfolge „Hard Rock Cafe“ sowie das Logo als Eingangsschild, auf der Eingangstür und in den Fenstern ihresRestaurants und bietet Merchandising-Artikel an, die ebenfalls dieses Logo tragen. Die Klägerinnen meldeten erstmals Ende 1986 ihr Logo als Marke für Bekleidung in Deutschland an; ihr erstes deutsches Hard-Rock-Café wurde 1992 in Berlin eröffnet. Unmittelbar danach erwirkten die Klägerinnen eine einstweilige Verfügung gegen die Beklagte, nahmen aber den Antrag auf ihren Erlass nach Widerspruch der Beklagten zurück.

Mit der Klage im vorliegenden Verfahren wollen die Klägerinnen es den Beklagten verbieten lassen, unter der Bezeichnung „Hard Rock“ und unter den Logos „Hard Rock Cafe Heidelberg“ ein Restaurant zu betreiben oder zu bewerben, sowie Merchandising-Artikel mit dem Aufdruck „Hard Rock Cafe“ zu vertreiben; außerdem sollen die Beklagten zu 2 und 3 auf bestimmte für sie registrierte Domainnamen mit dem Bestandteil „hardrock-cafe“ verzichten. Schließlich möchten die Klägerinnen die Verurteilung der Beklagten zur Auskunfterteilung und Vernichtung von mit dem Hard-Rock-Logo versehenen Merchandising-Artikeln sowie die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten erreichen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerinnen blieb ohne Erfolg.

Der Bundesgerichtshof hat die Auffassung des Berufungsgerichts bestätigt, Ansprüche gegen den Betrieb des Heidelberger Restaurants unter der Bezeichnung „Hard Rock“ seien verwirkt, weil die Klägerinnen diese Firmierung nach Rücknahme des Antrags auf einstweilige Verfügung mehr als 14 Jahre geduldet haben. Im Übrigen hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufgehoben, der Klage hinsichtlich des Vertriebs konkret bezeichneter Merchandising-Artikel stattgegeben und die Sache im übrigen Umfang der Aufhebung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Rechtsfolge der Verwirkung im Marken- und Lauterkeitsrecht ist allein, dass ein Markeninhaber seine Rechte wegen bestimmter, bereits begangener oder noch andauernder Rechtsverletzungen nicht mehr durchsetzen kann. Bei wiederholten, gleichartigen Verletzungshandlungen lässt jede Verletzungshandlung einen neuen Unterlassungsanspruch entstehen. Auch längere Untätigkeit des Markeninhabers kann insoweit kein berechtigtes Vertrauen darauf begründen, derartiges Verhalten werde weiterhin geduldet. Jedes Angebot und jeder Verkauf eines Merchandising-Artikels, jede neue Werbung und jeder neue Internetauftritt sind für die Frage der Verwirkung daher gesondert zu betrachten.

Der Vertrieb der Merchandising-Artikel durch die Beklagten verletzt die Markenrechte der Klägerin zu 2. Er verstößt auch gegen das wettbewerbsrechtliche Irreführungsverbot. Dabei kommt es nicht darauf an, dass die Beklagten den Vertrieb derartiger Produkte in Deutschland möglicherweise schon vor der Klägerin aufgenommen haben. DasRestaurant der Beklagten befindet sich in bester touristischer Lage Heidelbergs. Ein erheblicher Teil seiner Kunden sind ortsfremde Gäste, denen die Hard-Rock-Cafés der Klägergruppe bekannt sind, die aber nicht wissen, dass dasRestaurant der Beklagten nicht dazu gehört. Diese Irreführung müssen die Beklagten unterbinden.

Über die weiteren Ansprüche der Klägerinnen konnte der Bundesgerichtshof nicht abschließend entscheiden. Insoweit wird es unter anderem darauf ankommen, ob die Beklagten für die Bezeichnung „Hard Rock Cafe Heidelberg“ schon einen Schutz als Unternehmenskennzeichen im Raum Heidelberg erworben hatten, bevor für die Klägerin zu 2 Marken in Deutschland angemeldet worden sind. Soweit den Beklagten die weitere Verwendung der Logos „Hard Rock Cafe“ zu gestatten sein sollte, müssten sie durch klarstellende Zusätze Verwechslungen mit denRestaurants der Klägerinnen ausschließen.

Urteil vom 15. August 2013 – I ZR 188/11 – Hard Rock Café

OLG Karlsruhe – Urteil vom 14. September 2011 – 6 U 94/10

LG Mannheim – Urteil vom 7. Mai 2010 – 7 O 275/09

Karlsruhe, den 15. August 2013

Pressestelle des Bundesgerichtshofs 

Zahnverlust bei Restaurantbesuch

Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte über die Frage zu entscheiden, ob zugunsten eines Gastes, der beim Verzehr einer Speise in einem Restaurant einen Zahn verliert, Beweiserleichterungen dafür eingreifen, dass das Abbrechen des Zahns auf einen in der Speise verborgenen harten Gegenstand zurückzuführen ist.

Der Kläger verzehrte am 22. Dezember 2003 in dem von der Beklagten betriebenen Restaurant einen Grillteller, der aus verschiedenen Fleischstücken sowie Hackfleischröllchen (Cevapcici) bestand. Dabei brach ein Zahn des Klägers ab. Der Kläger führt dies darauf zurück, dass sich in einem der Hackfleischröllchen ein harter Fremdkörper – etwa ein kleiner Stein – befunden habe, wofür er die Beklagte verantwortlich macht. Die Beklagte hat dies bestritten und darauf verwiesen, dass der Zahn auch beim Biss auf ein Knochen- oder Knorpelteilchen eines der Fleischstücke abgebrochen sein könne.

Mit seiner Klage hat der Kläger Ersatz des Eigenanteils an den Kosten der zahnärztlichen Behandlung, Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes und die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für alle zukünftig aus dem Schadensereignis vom 22. Dezember 2003 entstehenden Schäden verlangt. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers hatte keinen Erfolg.

Eine Haftung der Beklagten setzt nach allen dafür in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen den vom Kläger zu erbringenden Nachweis voraus, dass sich, was die Beklagte bestritten hat, in dem Hackfleischröllchen, dessen Verzehr nach der Darstellung des Klägers den Verlust eines Zahns zur Folge hatte, ein harter Gegenstand befand, der beim Zubeißen zum Abbrechen des Zahns führte. Diesen Nachweis hat der Kläger nicht erbringen können. Nach seiner Darstellung war der Fremdkörper  vermutlich ein kleiner Stein  nach dem Abbrechen des Zahns nicht mehr auffindbar, weil er ihn verschluckt hatte. Der Kläger meint jedoch, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts komme ihm der Beweis des ersten Anscheins zugute. Dem ist der Bundesgerichtshof nicht gefolgt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind die Grundsätze über den Beweis des ersten Anscheins nur bei typischen Geschehensabläufen anwendbar, das heißt in Fällen, in denen ein bestimmter Sachverhalt feststeht, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder auf einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist. Dabei bedeutet Typizität nicht, dass die Ursächlichkeit einer bestimmten Tatsache für einen bestimmten Erfolg bei allen Sachverhalten dieser Fallgruppe notwendig immer vorhanden ist; sie muss aber so häufig gegeben sein, dass die Wahrscheinlichkeit, einen solchen Fall vor sich zu haben, sehr groß ist.

An einem in diesem Sinne typischen Geschehensablauf fehlte es hier. Das Abbrechen eines Zahns beim Verzehr eines aus verschiedenen Fleischstücken und Hackfleischröllchen bestehenden Gerichts ist nicht nach der Lebenserfahrung typischerweise auf das Vorhandensein eines in der Hackfleischmasse verborgenen festen (Fremd-) Körpers zurückzuführen. Vielmehr kommen dafür auch andere, nicht fernliegende Ursachen wie etwa eine Vorschädigung des abgebrochenen Zahns oder die versehentliche Mitaufnahme von Knochen- oder Knorpelresten, die nach dem Verzehr anderer Fleischstücke im Laufe der Mahlzeit auf dem Teller zurückgeblieben sind, in Betracht.

Urteil vom 5. April 2006 – VIII ZR 283/05

AG Spandau – Entscheidung vom 9.12.2004 – 9 C 412/04 ./. LG Berlin – Entscheidung vom 20.6.2005 – 52 S 2/05

Karlsruhe, den 5. April 2006

Pressestelle des Bundesgerichtshof 

Wer ohne strafrechtlich relevantes Verhalten in einem abgeschirmten Bereich einen Swinger-Club betreibt, leistet dadurch nicht stets im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG der Unsittlichkeit Vorschub

Der Kläger ist seit 1976 Pächter und Betreiber der Gaststätte „S. P.“, die sich im Außenbereich der Gemeinde O.-R. am Rande einer Bundesfernstraße ca. 500 m von der nächsten Ortschaft entfernt befindet.

Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 29. September 2000 beim Landratsamt B. K. unter Hinweis auf zurückgehende Umsätze in seiner Gaststätte die Erweiterung der Gaststättenerlaubnis zum Zwecke der Eröffnung eines privaten Partykreises „F.“ in Räumen, die von der bereits betriebenen Gaststätte baulich getrennt sind. Die Räume befinden sich im Obergeschoss des Gebäudes; ein separater Eingang auf der Rückseite und separate Parkplätze sind vorgesehen. Die Räume sollen genutzt werden als Büfettraum/Diele, Umkleideräume, Bar und Matratzenräume. Die Türen zu allen Zimmern sollen ausgehängt werden, so dass zu jedem Zimmer freier Zutritt besteht und jeder jeden beobachten kann. Von außerhalb des Gebäudes können die Räume nicht eingesehen werden. Der private Partykreis soll für grundsätzlich jeden interessierten Erwachsenen offen sein. Die Eintrittspreise sollen bei 50 DM für Pärchen und 200 DM für allein stehende Männer liegen. Allein stehende Frauen sollen keinen Zutritt haben. Der Einlass soll nur nach telefonischer Voranmeldung und Läuten der Türglocke am Hintereingang ermöglicht werden.

Das Landratsamt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 30. Oktober 2000 ab und forderte den Kläger auf, sämtliche Tätigkeiten im Bereich des privaten Partykreises „F. – private Treffs für Paare und Singles -“ zu unterlassen. Zur Begründung führte das Landratsamt aus, dass der Gaststättenbetrieb in der beantragten Form der Unsittlichkeit im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG Vorschub leiste. Die Ausübung des Geschlechtsverkehrs in Anwesenheit Dritter in Räumen einer Gaststätte werde von der überwiegenden Zahl der Menschen unseres Kulturkreises als grob schamverletzend empfunden. Dies gelte auch dann, wenn die Sexualpartner und die Dritten mit der Beobachtung einverstanden seien. Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 29. April 2002 (GewArch 2002, 296) unter Änderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 25. Oktober 2001 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und den Freistaat Bayern verpflichtet, den Antrag des Klägers auf Erweiterung seiner Gaststättenerlaubnis zum Zwecke der Eröffnung eines privaten Partykreises in den Räumen seiner früheren Wohnung im Obergeschoss der Gaststätte nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Das Erweiterungsvorhaben des Klägers sei gaststättenrechtlich erlaubnisbedürftig. So genannte Swinger- oder Pärchenclubs stellten eine besondere Betriebsart dar, für die eine eigene Gaststättenerlaubnis erforderlich sei. Dem Kläger könne nicht entgegengehalten werden, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass er der Unsittlichkeit im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG Vorschub leisten werde. Die Auslegung des Begriffs der Unsittlichkeit müsse dem Recht des Einzelnen auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG gerecht werden, das auch das Recht auf Freiheit in der Gestaltung der Intimsphäre einschließe. Dem Einzelnen stehe hiernach das Recht zur Selbstbestimmung zu, in welcher Form er sein Sexualleben ausrichte. Es könne demnach in § 4 Abs. 1 GastG nicht darum gehen, einer Minderheit die Moralanschauungen der Mehrheit aufzuzwingen und ihr den Raum für die eigene private Lebensgestaltung zu nehmen. Dies bedeute nicht, dass der Staat sozial relevante gewerbliche Veranstaltungen rechtlich ermöglichen müsse, die gegen die Menschenwürde verstießen (Art. 1 Abs. 1 GG) oder von einer eindeutigen Mehrheit der Rechtsgemeinschaft als Überschreitung der von den guten Sitten gezogenen Grenzen abgelehnt würden. Der Staat dürfe Angelegenheiten der Intimsphäre jedenfalls aus dem öffentlichen Bereich verweisen und könne mit rechtlichen Mitteln erzwingen, dass sie in dem für andere nicht wahrnehmbaren Privatbereich blieben. Gegenüber Verstößen gegen die Menschenwürde dürfe es keine Toleranz geben.

Für die Auslegung des Begriffs der Unsittlichkeit sei weiter von Bedeutung, dass das Gaststättengesetz gewerbliches Ordnungsrecht sei. Als ordnungsrechtliche Vorschrift solle § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG das Zusammenleben der Menschen ordnen, soweit ihr Verhalten sozial relevant sei, nach außen in Erscheinung trete und das Allgemeinwohl beeinträchtigen könne. Es sei aber nicht Zweck der Vorschrift, die Sittlichkeit um ihrer selbst willen zu wahren oder den Menschen ein Mindestmaß an Sittlichkeit vorzuschreiben und dieses mit den gewerblichen Überwachungsmitteln durchzusetzen.

Unsittlichkeit im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG liege in Bezug auf solche geschlechtsbezogenen Handlungen vor, die durch das Strafgesetz oder das Ordnungswidrigkeitenrecht verboten seien. Der Tatbestand der Unsittlichkeit sei außerdem erfüllt, wenn durch nicht mit Strafe oder Geldbuße bedrohtes Verhalten schutzwürdige Belange der Allgemeinheit berührt würden. Handlungen und Zustände mit einem engen Bezug zum Geschlechtsleben beeinträchtigten Belange des Allgemeinwohls etwa dann, wenn sie nach außen in Erscheinung träten und dadurch die ungestörte Entwicklung junger Menschen in der Sexualsphäre gefährden könnten oder wenn andere Personen, die hiervon unbehelligt bleiben wollten, erheblich belästigt würden. Zu berücksichtigen seien auch die sozialethischen Wertvorstellungen, die in der Rechtsgemeinschaft als maßgebliche Ordnungsvoraussetzungen anerkannt seien. Den Kern des sozialethischen Ordnungsgefüges bildeten die wertethischen Prinzipien, über deren Verbindlichkeit die Rechtsgemeinschaft im Verfassungskonsens befunden habe. Dies gelte insbesondere für die durch Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Achtung und den dort ebenfalls gewährleisteten Schutz der Menschenwürde. Als Indizien für eine in der Rechtsgemeinschaft vorherrschende sozialethische Überzeugung könnten die Behördenpraxis, die Rechtsprechung und die von ihnen ausgelösten Reaktionen in der Öffentlichkeit herangezogen werden. Dabei sei auf die in der Gesellschaft vorherrschende sozialethische Überzeugung abzustellen, die sich in der Rechtsgemeinschaft zu einer anerkannten Norm für sozial relevantes Verhalten verdichtet habe.

In Anwendung dieser Grundsätze könne nicht festgestellt werden, dass der Kläger der Unsittlichkeit Vorschub leiste. Durch den Gaststättenbetrieb würden keine Straf- oder Bußgeldtatbestände erfüllt. Die ungestörte Entwicklung junger Menschen in der Sexualsphäre könne nicht gefährdet werden. Es könnten auch keine Unbeteiligten durch den Betrieb belästigt werden. Dafür sorgten die vorgesehenen Vorkehrungen gegen ein ungewolltes Betreten und Besichtigen der Räume.

Von einer von vornherein zu befürchtenden Verletzung der Menschenwürde könne nicht ausgegangen werden. Die Subjektqualität der Gäste werde nicht prinzipiell in Frage gestellt und der fundamentale Wert- und Achtungsanspruch des Menschen werde nicht durch Gewaltakte geleugnet. Der Kläger beabsichtige nicht, sexuelle Handlungen, sondern nur ein Ambiente gegen Entgelt anzubieten, das zu Geschlechtsverkehr, Gruppensex und Partnertausch, unter Umständen auch im Beisein von Zuschauern, animieren solle. Für die Besucher des Partykreises handele es sich um private Lebensgestaltung. Alle Besucher seien Handelnde; eine klare Trennung zwischen Darstellern, deren eher objekthafte Rolle als entwürdigend angesehen werden könnte, und Betrachtern gebe es nicht.

Es könne keine in der Rechtsgemeinschaft eindeutig herrschende Auffassung über die nicht nur individualethische, sondern sozialethische Verwerflichkeit des hier vorgesehenen Betriebs festgestellt werden. Dem stünden die heutige Liberalität der Sexualmoral, die Pluralität der Meinungen und die Zeitgebundenheit von Anschauungen und Gewohnheiten entgegen. Es sei zwar weiter davon auszugehen, dass Gruppensex, Partnertausch und die Beobachtung des Geschlechtsverkehrs durch Dritte von der überwiegenden Zahl der Menschen unseres Kulturkreises als grob schamverletzend empfunden würden. Ein sozialethisches Unwerturteil folge aber daraus dann nicht, wenn dritte Personen und Jugendliche nicht ungewollt mit dem Geschehen in den Betriebsräumen in Kontakt kommen könnten. Von einem sozialethischen Unwerturteil könne für das vorgesehene Sexualverhalten nur ausgegangen werden, wenn eine Art Öffentlichkeitsbezug in dem Sinn gegeben sei, dass anderen Kunden als den Besuchern das dortige Geschehen nicht verborgen bleiben könne oder solle. Werde wie hier der Betrieb baulich strikt von sonstigen Räumlichkeiten der Gaststätte getrennt, lasse sich ein solcher Öffentlichkeitsbezug nicht mehr hinreichend begründen. Für das sexuelle Verhalten von Besuchern eines Swinger-Clubs ohne Öffentlichkeitsbezug könne ein eindeutiges sozialethisches Unwerturteil in der Rechtsgemeinschaft nicht festgestellt werden. Beleg dafür sei, dass es unter den wenigen einschlägigen Gerichtsentscheidungen mehrere gebe, die den Versagungsgrund des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG nicht bejaht hätten und zumindest im großstädtischen Bereich von den zuständigen Behörden für die Betriebsart Gaststättenerlaubnisse erteilt oder faktische Duldungen vorgenommen würden, ohne dass diese Praxis in der Öffentlichkeit auf Widerspruch oder auch nur auf ein erkennbares gegenläufiges Interesse gestoßen sei. Dies strahle auch auf die ländlichen Gebiete aus, weil insoweit eine Differenzierung nicht in Betracht komme.

Berücksichtigt werden müssten auch die Wertungen des Prostitutionsgesetzes vom 20. Dezember 2001. Danach könne die bisher weitgehend unstrittige Bewertung der Prostitution als unsittlich nicht mehr unter allen Umständen aufrechterhalten werden. Dies entspreche auch der Wertung des Europäischen Gerichtshofs, wonach die selbstständig ausgeübte Prostitutionstätigkeit als eine gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung sowie als selbstständige Erwerbstätigkeit angesehen werden könne. Wenn schon die Ausübung der Prostitution trotz der Verknüpfung zwischen der Vornahme sexueller Handlungen und der Leistung von Entgelt und trotz der damit verbundenen Herabwürdigung der geschlechtlichen Hingabe zur Ware und trotz der Ausbeutung des Sexualtriebs nach dem Willen des Gesetzgebers und nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht mehr unter allen Umständen unsittlich sein solle, könne für Partnertausch, Gruppensex und die Beobachtung des Geschlechtsverkehrs durch andere Teilnehmer der „Party“ unter sozialethischen Gesichtspunkten nichts anderes gelten. Dafür spreche auch die vom Verwaltungsgericht Berlin festgestellte Gleichgültigkeit der Öffentlichkeit gegenüber sexuellen Verhaltensweisen, die nach außen hin nicht in Erscheinung treten.

Die sonstigen Voraussetzungen für die Erteilung der beantragten Erlaubnis unterlägen noch der gaststättenbehördlichen Prüfung. Das gelte auch für die Frage, welche Auflagen erlassen werden sollten. Die Untersagungsverfügung sei aufzuheben, weil mit Rechtskraft des Urteils die Erlaubnisfähigkeit des strittigen Betriebs geklärt und dadurch der Ermessensbetätigung der Behörde die Grundlage entzogen sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die von dem Berufungsgericht zugelassene Revision des Beklagten mit dem Ziel der Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Beklagte rügt eine Verletzung des § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

Die zulässige Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an den Verwaltungsgerichtshof (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

1. Das Berufungsurteil verletzt zwar nicht § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG, beruht aber auf einer Verletzung von § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, weil der Verwaltungsgerichtshof den Beklagten unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet hat, den Antrag des Klägers nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO spricht das Gericht, soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Verwaltungshandlung vorzunehmen. Ist dies namentlich bei Ermessensentscheidungen und bei Einräumung eines Beurteilungsspielraums nicht möglich, spricht das Gericht nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden. Steht der Erlass des beantragten Verwaltungsakts nicht im Ermessen der Behörde, so ist das Gericht grundsätzlich verpflichtet, die Sache spruchreif zu machen. Auf die Erteilung der gaststättenrechtlichen Erlaubnis besteht ein Rechtsanspruch, wenn Versagungsgründe nicht vorliegen (vgl. Urteil vom 17. Oktober 1989 – BVerwG 1 C 18.87 – Buchholz 451.41 § 4 GastG Nr. 15, S. 13; Michel/Kienzle, Gaststättengesetz, 13. Aufl. 1999, § 2 Rn. 14). Ermessen ist der Behörde nicht eingeräumt. Unter diesen Umständen durfte das Gericht die Voraussetzungen der Erlaubnis nicht weiterer Prüfung vorbehalten. Allenfalls die Hinzufügung von Auflagen nach Maßgabe des § 5 GastG hätte weiterer Entschließung der Behörde vorbehalten bleiben dürfen (vgl. Beschluss vom 25. November 1997 – BVerwG 4 B 179.97 – NVwZ-RR 1999, 74). Unter diesen Umständen wird der Klageantrag vor dem Berufungsgericht wieder als Verpflichtungsantrag zu fassen sein, ohne dass darin eine Klageänderung zu sehen ist, da die Verpflichtung von Anfang an das Rechtsschutzziel des Klägers war (vgl. Urteil vom 29. August 2001 – BVerwG 6 C 4.01 – BVerwGE 115, 70, 71 = GewArch 2001, 479, 480).

2. Gemäß § 2 Abs. 1 GastG bedarf der Erlaubnis, wer ein Gaststättengewerbe betreibt. Ein Gaststättengewerbe betreibt gemäß § 1 Abs. 1 GastG, wer im stehenden Gewerbe Getränke (Schankwirtschaft) oder zubereitete Speisen (Speisewirtschaft) zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht oder Gäste beherbergt (Beherbergungsbetrieb), wenn der Betrieb jedermann oder bestimmten Personenkreisen zugänglich ist. Die Erlaubnis wird für bestimmte Räume und eine bestimmte Betriebsart erteilt (§ 3 GastG).

a) Der Kläger möchte in baulich von seiner bereits betriebenen Schank- und Speisewirtschaft getrennten Räumen einen so genannten Swinger-Club führen und dort Getränke und zubereitete Speisen verabreichen. Er benötigt dafür eine Gaststättenerlaubnis. Die bereits betriebene Schank- und Speisewirtschaft weist keine besonderen Merkmale auf und kann als Schank- und Speisewirtschaft ohne besondere Betriebseigentümlichkeit bezeichnet werden. Der Swinger-Club erhält hingegen sein Gepräge durch das vorgesehene sexuelle Geschehen, dem gegenüber die Verabreichung von Speisen und Getränken nur eine untergeordnete Bedeutung hat. Diese besondere Gestaltung kann zu anderen Anforderungen im Sinne des § 4 GastG führen. Die Bindung der gaststättenrechtlichen Erlaubnis an eine bestimmte Betriebsart beruht vor allem auf der Erwägung, dass je nach Betriebsart die nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 GastG zu stellenden Anforderungen unterschiedlich sein können (Metzner, GastG, 6. Aufl. 2002, § 3 Rn. 5). Demgemäß wird der Swinger-Club als besondere Betriebsart angesehen (Metzner, § 3 Rn. 43). Die räumliche Trennung der beiden Anlagen sowie die unterschiedliche Betriebsart sprechen dafür, dass der Kläger einen weiteren selbstständigen Gaststättenbetrieb führen will, es sich also nicht lediglich um eine Erweiterung einer vorhandenen Gaststätte handelt. Demgemäß hat der Verwaltungsgerichtshof den Antrag der Sache nach wie einen selbstständigen Erlaubnisantrag geprüft.

b) Der Antrag ist nicht schon mit der Begründung abzulehnen, der Kläger wolle mit dem Swinger-Club kein Gewerbe betreiben. Gewerbe im Sinne der Gewerbeordnung und des Gaststättengesetzes, das ein besonderes Gewerbegesetz ist (vgl. Beschluss vom 15. Dezember 1994 – BVerwG 1 B 190.94 – Buchholz 451.41 § 18 GastG Nr. 8 = GewArch 1995, 155, § 31 GastG), ist jede nicht sozial unwertige (nicht generell verbotene), auf Gewinnerzielung gerichtete und auf Dauer angelegte selbständige Tätigkeit mit Ausnahme der Urproduktion, der freien Berufe und bloßer Verwaltung und Nutzung eigenen Vermögens (Urteil vom 26. Januar 1993 – BVerwG 1 C 25.91 – Buchholz 451.20 § 14 GewO Nr. 5 = GewArch 1993, 197). Der Betrieb eines Swinger-Clubs ist nicht generell verboten. Die vom Kläger vorgesehene Tätigkeit stellt kein dem Dreizehnten Abschnitt des Strafgesetzbuchs unterfallendes Verhalten dar, wie sich aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt. Ein der Unsittlichkeit Vorschubleisten im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG würde die Tätigkeit nicht bereits aus dem Gewerbebegriff ausscheiden, wie aus dem Regelungssystem der §§ 1 und 4 GastG ohne weiteres folgt (a.A. Metzner, Gaststättengesetz, 6. Aufl., 2002, § 1 Rn. 37).

c) Dem Verwaltungsgerichtshof ist darin zu folgen, dass der Erlaubnisversagungsgrund des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG nicht vorliegt. Nach dieser Vorschrift ist die Erlaubnis zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller die für den Gewerbebetrieb erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt, insbesondere befürchten lässt, dass er „der Unsittlichkeit Vorschub leisten wird“.

aa) Die Auslegung des Begriffs der Unsittlichkeit muss dem Recht des Einzelnen auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG gerecht werden, das auch das Recht auf Freiheit in der Gestaltung der Intimsphäre einschließt. Dem Einzelnen steht grundsätzlich ein Recht zur Selbstbestimmung zu, in welcher Form er sein Sexualleben ausrichtet, soweit dadurch die grundgesetzliche Wertordnung, normative Vorgaben oder Rechte anderer nicht verletzt werden. Daraus folgt zunächst, dass der Staat Veranstaltungen entgegentreten muss, die gegen die Menschenwürde verstoßen (Art. 1 Abs. 1 GG). Unsittlichkeit im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG liegt darüber hinaus in Bezug auf solche geschlechtsbezogenen Handlungen vor, die durch Strafgesetz verboten sind. Der Tatbestand der Unsittlichkeit ist außerdem gegeben, wenn durch ein Verhalten, das nicht mit Strafe bedroht ist, schutzwürdige Belange der Allgemeinheit berührt werden, was insbesondere dann der Fall ist, wenn es nach außen in Erscheinung tritt und dadurch die ungestörte Entwicklung junger Menschen in der Sexualsphäre gefährden kann oder wenn andere Personen, die hiervon unbehelligt bleiben wollen, erheblich belästigt werden. Der Staat darf auch nicht verbotenes Verhalten der Intimsphäre aus dem öffentlichen Bereich verweisen und mit rechtlichen Mitteln erzwingen, dass sie in dem für andere nicht wahrnehmbaren Privatbereich verbleiben (Urteil vom 16. Dezember 1975 – BVerwG 1 C 44.74 – BVerwGE 49, 160 <163 f.>). Gaststättenrecht ist als besonderes Gewerberecht Gefahrenabwehrrecht. Normziel des § 4 Abs. 1 Satz 1 GastG ist demgemäß nicht, die Sittlichkeit als solche zu fördern oder zu ihr zu erziehen. Der Gefahrenabwehrcharakter der Vorschrift beschränkt ihren Anwendungsbereich vielmehr auf solche Vorgänge, die dem grundgesetzlich verbürgten Menschenbild widersprechen, durch Strafnormen verboten sind oder wegen ihres Öffentlichkeitsbezugs einem sozialethischen Unwerturteil unterliegen. Daraus folgt, dass aus gaststättenrechtlicher Sicht sexuelle Handlungen in den allgemein zugänglichen Räumen einer Schankwirtschaft grundsätzlich zu unterbleiben haben. Eine andere Beurteilung kann aber dann geboten sein, wenn ein nicht dem Menschenbild des Grundgesetzes widersprechendes und nicht mit Strafe bedrohtes sexuelles Verhalten Erwachsener in einem durch den Gastwirt bereitgestellten abgeschirmten Bereich stattfindet, der eine ungewollte Einsichtnahme des Publikums ausschließt. In derartigen Fällen kann der für die Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG maßgebliche Öffentlichkeitsbezug des Geschehens entfallen, weil dieses Geschehen von der Rechtsgemeinschaft nicht dem Gastwirt, sondern in erster Linie den Teilnehmern selbst zugerechnet wird. Auch im Anwendungsbereich des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG ist auf die dem geschichtlichen Wandel unterworfenen sozialethischen Wertvorstellungen, die in der Rechtsgemeinschaft als Ordnungsvoraussetzungen anerkannt sind, abzustellen (Urteil vom 30. Januar 1990 – BVerwG 1 C 26.87 – BVerwGE 84, 314 <317 ff.>).

Allein der Umstand, dass sich der Gastwirt in den hier in Rede stehenden Fällen nicht auf eine entgeltliche Bewirtung im üblichen Sinne beschränkt, sondern auch oder gar hauptsächlich aus der Bereitstellung der Räumlichkeiten mit der Möglichkeit, darin Geschlechtsverkehr mit wechselnden Partnern auszuüben und/oder diesen zu beobachten, finanziellen Nutzen zieht, rechtfertigt die Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG nicht. Die kommerzielle Ausnutzung sexueller Bedürfnisse oder Interessen wird nicht grundsätzlich als sittenwidrig angesehen. Das folgt schon daraus, dass sich der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes zur Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situation der Prostituierten (Prostitutionsgesetz) vom 20. Dezember 2001 (BGBl I S. 3983) von der Erwägung hat leiten lassen, dass nach überwiegender Auffassung die Prostitution nicht mehr als sittenwidrig angesehen werde. Namentlich hat er auch die Schaffung guter Arbeitsbedingungen für Prostituierte zum Beispiel in Luxus-Bordellen und Sauna-Clubs durch Streichung des § 180 a Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F. aus dem Tatbestand des § 180 a StGB herausgenommen. Daher kann allein die Erzielung von Einkünften aus geschlechtsbezogenem Verhalten Dritter nicht als sittenwidrig angesehen werden. Der Gesetzgeber hat in dem Prostitutionsgesetz von Folgeänderungen im Gaststättengesetz abgesehen, sich dabei aber von der Erwägung leiten lassen, dass (selbst) bei entgeltlichen sexuellen Handlungen nicht mehr „automatisch“ von Unsittlichkeit ausgegangen werden kann (BTDrucks 14/5958, S. 6). Darin drückt sich ein Wandel der sozialethischen Vorstellungen mit der Folge aus, dass ordnungsrechtliches Ziel des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG nicht der Schutz vor dem sexuellen Geschehen als solchem oder die Verhinderung der Erzielung von Einkünften daraus ist, sondern vornehmlich der Schutz vor der ungewollten Konfrontation mit derartigen Vorgängen. Demgemäß übernimmt der Staat in dem hier in Rede stehenden Bereich auch keine Verantwortung für ein den Normen des Strafrechts und den sozialethischen Wertvorstellungen der Rechtsgemeinschaft nicht zuwiderlaufendes Verhalten Erwachsener in einer Gaststätte, wenn dadurch Gefahren für Dritte durch ungewollte Konfrontation nicht zu besorgen sind.

bb) Nach diesen Maßstäben ist unter den Umständen des Falles nicht zu befürchten, dass der Kläger der Unsittlichkeit Vorschub leistet.

Eine Verletzung der Menschenwürde liegt in der Teilnahme an einem „Pärchentreff“ nicht. Die Subjektqualität der Gäste wird nicht in Frage gestellt, und der fundamentale Wert- und Achtungsanspruch des Menschen wird nicht durch Gewaltakte geleugnet. Den Besuchern wird keine objekthafte Rolle auferlegt, die als entwürdigend angesehen werden könnte, sondern sie entscheiden frei, in welcher Weise sie sich an dem Geschehen beteiligen. Das gilt auch, soweit nach den obwaltenden Umständen einzelnen Besuchern des Swinger-Clubs die Möglichkeit eingeräumt ist, den Geschlechtsverkehr anderer zu beobachten. Insoweit nehmen die Besucher gleichsam als Angehörige einer „Zweckgemeinschaft“ Gleichgesinnter an dem Geschehen teil, ohne dass der Gastwirt – wie etwa bei der öffentlichen Vorführung von Geschlechtsverkehr – zahlenden Gästen ein Schauobjekt präsentiert.

Strafbares Verhalten soll nicht stattfinden, und Personen, die mit dem Geschehen nicht konfrontiert werden wollen, sind nicht betroffen, wie der Verwaltungsgerichtshof anhand der örtlichen Verhältnisse dargelegt hat. Auch im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof einen nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG bedeutsamen Öffentlichkeitsbezug des vom Kläger beabsichtigten Gaststättenbetriebs rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.

Nach den für den Senat bindenden Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts, denen der Beklagte zwar eigene Bewertungen entgegensetzt, die er aber nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angreift, kann keine in der Rechtsgemeinschaft eindeutig herrschende Auffassung über die nicht nur individualethische, sondern sozialethische Verwerflichkeit des hier vorgesehenen Betriebs festgestellt werden. Liberalität der Sexualmoral, Pluralität der Meinungen und die Zeitgebundenheit von Anschauungen und Gewohnheiten schließen dies nach den Ausführungen des Berufungsgerichts aus. Danach ist zwar weiter davon auszugehen, dass Gruppensex, Partnertausch und die Beobachtung des Geschlechtsverkehrs durch Dritte von der überwiegenden Zahl der Menschen unseres Kulturkreises als grob schamverletzend empfunden werden. Dem entspricht aber kein ebenso verbreitetes sozialethisches Unwerturteil, wenn dritte Personen und Jugendliche nicht ungewollt mit dem Geschehen in den Betriebsräumen in Kontakt kommen können.

Diese Ausführungen werden dadurch bestätigt, dass Rechtsprechung und veröffentlichte Rechtsmeinung kein einheitliches Verdikt des Geschehens erkennen lassen, sich vielmehr eine etwa gleichgewichtige unterschiedliche Sicht feststellen lässt. Als den guten Sitten zuwiderlaufend beurteilen einen solchen Betrieb das Verwaltungsgericht Würzburg im vorliegenden Verfahren, Pauly in: Michel/Kienzle, GastG, § 4 Rn. 16, S. 180 sowie in GewArch 2000, 203 <204> und in GewArch 2002, 217 <223>), Metzner, a.a.O., § 4 Rn. 79, Aßfalg in: Aßfalg/Lehle/ Rapp/Schwab, Aktuelles Gaststättenrecht, § 4 GastG Rn. 6 b S. 18/1; Stollenwerk, GewArch 2000, 317. Der vielfach ebenfalls für diese Auffassung angeführte Beschluss des VGH Mannheim vom 16. Juli 1998 – 14 S 1568/98 –(GewArch 2000, 193) betrifft ein so genanntes Dunkelzimmer eines Einzelhandelsgeschäfts für Sex-Artikel mit der Gelegenheit zu homosexuellen Kontakten. Das BayObLG, Beschluss vom 16. Juni 2000 – 2 Z BR 178/99 – (NJW-RR 2000, 1323 <1324>) hält das Betreiben eines derartigen Clubs in einer als „Sauna“ in einer Eigentumswohnanlage vorgesehenen Teileinheit – wohnungseigentumsrechtlich – für unzulässig.

Demgegenüber beurteilen das Geschehen als nicht unsittlich das Verwaltungsgericht Köln, Urteil vom 14. April 1983 – 1 K 3900/81 – GewArch 1984, 33, das Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 17. Januar 2000 – 4 A 441/99 – GewArch 2000, 125, der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Verfahren sowie Haferkorn, GewArch 2002, 145 <149>, Schwab in: Aßfalg/Lehle/Rapp/Schwab, Aktuelles Gaststättenrecht, § 23 GastG Rn. 2. Das Landgericht Berlin (NJW-RR 2000, 601) hält einen Anspruch auf Mietminderung wegen eines in dem fraglichen Haus geführten Swinger-Clubs für nicht gegeben. Das Landes-

arbeitsgericht Hamm (Urteil vom 19. Januar 2002, – 5 Sa 491/00 – juris Nr. KARE600002979) hat im Mitbetreiben eines Swinger-Clubs einschließlich sexueller Betätigung durch eine Grundschullehrerin für sich allein keinen Kündigungsgrund nach § 8 Abs. 1 BAT gesehen.

Unter diesen Umständen kommt der Verwaltungspraxis, auf die sich das Berufungsgericht berufen hat, ebenfalls Gewicht zu. Nach den Ermittlungen von Haferkorn (GewArch 2002, 145 <150>) werden gegenwärtig in Deutschland über 250 Swinger-Clubs betrieben. Dieser nicht unerheblichen Anzahl stehen nur wenige gerichtliche Entscheidungen gegenüber. Das kann bereits darauf hindeuten, dass Swinger-Clubs von den Verwaltungsbehörden nur in geringem Umfang zum Gegenstand behördlicher Maßnahmen gemacht werden. Den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs ist zu entnehmen, dass zumindest im großstädtischen Bereich von den zuständigen Behörden „für die hier strittige Betriebsart Gaststättenerlaubnisse erteilt oder faktische Duldungen vorgenommen (werden), ohne dass diese Praxis in der Öffentlichkeit auf Widerspruch oder auch nur auf ein erkennbares gegenläufiges Interesse gestoßen ist“. Berücksichtigt man ferner, dass der Bund-Länder-Ausschuss „Gewerberecht“ in seiner Herbst-Sitzung 2001 keine Einigung über die Beurteilung von Swinger-Clubs erzielen konnte, wobei dort sogar offenbar nur über die Förderung der Prostitution in einem Swinger-Club diskutiert worden ist (Schönleiter und Kopp, GewArch 2002, 56 <59>), so kann die Erkenntnis des Berufungsgerichts revisionsgerichtlich nicht beanstandet werden. Die Befugnisse der Behörde nach § 5 GastG sowie nach § 22 GastG ermöglichen es im Übrigen, die Einhaltung der Rechtsordnung wirksam zu gewährleisten.

d) Das Berufungsgericht wird nunmehr zu prüfen haben, ob sonstige Gründe vorliegen, die eine Versagung der nachgesuchten Erlaubnis erfordern. Dabei kann u.A. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GastG zu prüfen sein (vgl. Urteile vom 26. Februar 1974 – BVerwG 1 C 27.72 – Buchholz 451.41 § 4 GastG 1970 Nr. 4 = GewArch 1974, 201 und vom 16. September 1975 – BVerwG 1 C 27.74 – BVerwGE 49, 154 = Buchholz 451.41 § 4 GastG Nr. 7 = GewArch 1975, 388; vgl. auch Beschluss vom 19. Februar 1996 – BVerwG 1 B 24.96 – Buchholz 451.41 § 4 GastG Nr. 21 = GewArch 1996, 251).