Berliner Negativliste

Die Berliner Negativliste: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte

Im Berliner Bezirk Pankow wurde ein bis dato neues Modell-Projekt zur Verbesserung der Lebensmittelüberwachung innerhalb von Gaststätten, als eine seitens der Behörden für erforderlich gehaltenen Maßnahme, eingeführt. Es handelt sich dabei um ein sog. Smiley-System nach dänischem Vorbild, welches sich in zwei Konzepte untergliedert:

Zum einem existiert eine Positivliste, durch welche die hygienisch unbedenklichen Betriebe im Internet namentlich veröffentlicht werden können. Daneben findet eine Beurkundung des aufgefundenen Hygienestatus mittels einer Smiley-Kennzeichnung statt. Dieses Verfahren erfolgt auf Basis einer freiwilligen Vereinbarung der Gaststättenbetreiber mit den zuständigen Behörden (Bezirksamt, Veterinär- und Lebensmittelaufsichtsamt). Hierzu bedarf es der vorherigen Bewerbung der Wirte. Zum anderen wird die Auflistung von hygienisch bedenklichen Betrieben in Form einer sog. Negativliste im Internet praktiziert. Auf dieser Liste werden Betriebe aufgeführt, die wiederholt bei den Lebensmittelkontrollen negativ aufgefallen sind und bei denen mindestens der Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit vorliegt. Diese werden sodann durch die zuständigen Behörden auf dem Internetportal des Pankower Bezirksamtes für jedermann einsehbar publiziert oder besser gesagt, diffamiert. Die Darstellung umfasst Namen und Anschrift der Gaststätte sowie eine Aufzählung der vorgefundenen Mängel. Hinzukommend findet seit Mai 2009 eine bildliche Darbietung der hygienischen Beanstandungen ergänzend statt.

Die hier betriebene Praxis, die Fehler der Gastronomen auf einen öffentlichen Präsentierteller anzureichen, soll vermeintlichen Beweiszwecken dienen. Diese Präventionsmaßnahme, die einer öffentlichen Bloßstellung gleicht, soll vor allem den Verbraucher schützen.

Aber wie weit darf Verbraucherschutz  gehen? Und wer schützt die zahlreichen Gastwirte?

Die in der Form einer Negativliste veröffentlichten Pankower Kontrollberichte üben einen enormen Druck auf die Wirte aus, wie dies in fast keiner anderen Branche der Fall ist. Schließlich kann mit dieser fast schon mittelalterlich wirkenden ‘‘Innovation‘‘ eine geschäftsschädigende oder gar existenzgefährdende Wirkung einhergehen. Es erscheint nur schwer vorstellbar, dass jemand ein Lokal aufsucht, welches auf der ‘‘Ekelliste‘‘ aufgeführt ist. Man könnte die im Netz öffentlich zugängliche Negativliste mit einer Art visualisierten Warnung gleichsetzen. Auch wenn die Berliner Behörden die in Pankow betriebene Praxis eher als Maßnahme zu Zwecken der Verbraucherinformation ansehen. Nach ihrer Auffassung und den Erwägungen des durch die Senatsverwaltung in Auftrag gegebenen Rechtsgutachtens über die Zulässigkeit des Berliner Smiley-Modells, handelt es sich bei dem Besuch und der Auswahl einer Gaststätte stets um eine autonome Entscheidung des Verbrauchers, sodass die Verbildlichung von aufgefundenen Mängeln in Restaurants lediglich den Informationszweck unterstützen. Diese Annahme erscheint aber äußerst kontrovers und realitätsfremd, da einfach niemand freiwillig in einem ‘‘Ekelrestaurant‘‘ speist. In diesem Fall sagen Bilder wohl tatsächlich mehr als tausend Worte. Das Verbraucherverhalten nach Einsicht in das einschlägige Bildmaterial ist somit absehbar und kann schon per Definition keine bloße Information darstellen. Im Wege der Negativliste wird eine Verbraucherlenkung erwirkt, indem eine Klassifizierung der einzelnen Betriebe in ‘‘Gut‘‘ und ‘‘Böse‘‘ erfolgt. Diese Maßnahme kann also gar nicht markneutral sein, so wie es bei einer Information eigentlich der Fall sein sollte. Vielmehr kommt ihr eine wettbewerbsverzerrende Wirkung zu. Zudem erscheint es fraglich, wie die Liste der vorherigen verbraucherschützenden Information dienen kann, wenn dort auch bereits geschlossene Betriebe miterfasst werden. Der Besuch eines geschlossenen Lokals ist wohl äußerst abwegig. Ein anderer Fakt, der die Pankower Vorgehensweise äußerst fragwürdig erscheinen lässt, ist der Umstand, dass schon rein technisch keine Gleichstellung der Betriebe möglich ist. Vor allem in Hinblick darauf, dass eine flächenhafte allumfassende Kontrolle allein schon aus Kapazitätsgründen utopisch erscheint. Diese Tatsache kann im Ergebnis dazu führen, dass ein mängelbehafteter Betrieb publiziert wird und ein anderer, der vielleicht sogar schlimmere Beanstandungen vorzuweisen hat, unbeachtet bleibt. Diese Situation hat letztendlich eine fraglich erscheinende Ungleichbehandlung zur Folge, zumal die betroffenen Betriebe es schwer haben werden ein schlechtes Ergebnis wieder loszuwerden. Man denke in diesem Zusammenhang an die unendlichen Weiten des Internets. Denn das Internet vergisst meist nichts. Einmal im Netzt sind Daten nur sehr umständlich und schwer wieder zu entfernen. Den Wirten erwächst hierdurch ein irreparabler persönlicher Schaden. Der Internetpranger stellt im Ergebnis ein funktionales Äquivalent einer Sanktion dar, da der durch Einstellung des belastenden Bildmaterials entstandene Schaden irreversibel ist. Aber die Folgen können sogar noch viel weitreichender sein…

Man stelle sich mal die Neueröffnung eines ehemaligen “Ekelbetriebs“ vor. Zwar hat sich der Gaststättenbetreiber geändert und hygienische Beanstandungen sind auch nicht mehr vorzufinden, trotzdem wird der Betreiber es mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit schwierig haben sich am Markt zu etablieren. Es hat nämlich im Vorfeld eine Etikettierung bei den potenziellen Besuchern durch die publik gewordenen Fotografien des Vorgängers stattgefunden. Die Lokalität ist insoweit stigmatisiert, als das es für eine ungewiss lange Zeit mit den dort in der Vergangenheit aufgetretenen Makeln konfrontiert werden wird. Die möglichen Folgen können sogar noch prekärer sein. Beispielsweise für den Vermieter des Lokals. An ihm haftet der Schaden genauso schwer, obwohl er meistens nichts für die Unglücklichen Zustände kann.Es wird für ihn denkbar schwer sein eine einmal auf der ‘‘Ekelliste‘‘ veröffentlichte Räumlichkeit weiter zu vermitteln. Im Hinblick auf diese Umstände erscheint die Negativliste als verbraucherschützende Maßnahme umso fragwürdiger. Natürlich sollten Betriebe, die die hygienischen Vorschriften massiv verletzen sanktioniert werden. Aber dazu sind die klassischen ordnungsrechtlichen Maßnahmen wie die Erteilung von Auflagen oder die Anordnung einer Schließung dar.Die Negativliste hat dagegen nicht nur Konsequenzen für die Wirte, sondern trifft zumeist auch Dritte in ihrer Schadensfolge. Daher stellen sich die zahlreichen ordnungsrechtlichen Maßnahmen, denen eigentlich die Aufgabe des Verbraucherschutzes zukommt, als das geeignetere und vor allem legitimere Mittel zur Zweckerreichung dar. Schließlich sollte der Verbraucherschutz nur soweit reichen dürfen, als das er nicht unbeteiligte Dritte dauerhaft schädigt.

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